Warum du nach 5 Stunden TikTok im Bett erschöpfter bist als nach dem Sport

Warum du dieses Wochenende nicht aus dem Bett kommst (und was TikTok-Trends damit zu tun haben)

Es ist Samstagmorgen, 11:30 Uhr und du starrst seit Stunden auf dein Smartphone. Du scrollst durch TikTok, Instagram und andere soziale Medien, während du wie ein menschlicher Burrito in deiner Bettdecke eingehüllt bist. Eigentlich hattest du vor, aufzustehen, zu duschen oder Sport zu treiben. Stattdessen hast du dir zum fünften Mal das Video von dem Typen angeschaut, der seine Katze als Superhelden verkleidet. Willkommen im Zeitalter des „Bedrottings“ – ein Trend, der durch Social Media fegt und das stundenlange Bildschirm-Treiben im Bett beschreibt.

Dieser Begriff, eine Mischung aus „bed“ (Bett) und „rotting“ (verfaulen), beschreibt ein Phänomen, das uns allen bekannt vorkommen dürfte: Wir schlafen nicht wirklich, bringen aber auch nichts Produktives zustande. Stattdessen existieren wir nur, mit unseren Bildschirmen als einzige Gesellschaft – nah an der Welt und doch so weit weg.

Das Phänomen Bedrotting: Wenn das Bett zur Festung wird

Obwohl Bedrotting kein offizielles Krankheitsbild ist, handelt es sich um ein popkulturelles Phänomen, das derzeit besonders auf TikTok diskutiert wird. Unsere vernetzte, reizüberflutete Welt hat uns hierhergebracht. Studien belegen, dass junge Erwachsene in Deutschland täglich 3 bis 5 Stunden am Smartphone verbringen, ein erheblicher Teil davon im Bett. Doch warum ist ausgerechnet das Bett unsere digitale Kommandozentrale geworden?

Dr. Sarah Diefenbach, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der LMU München, erforscht den Einfluss unserer digitalen Technologien und fasst das Phänomen so zusammen:

„Das Bett wird oft als Rückzugsort genutzt. In einer Welt voller Anforderungen suchen viele einen Ort der Kontrolle – und finden ihn paradoxerweise im scheinbar willkürlichen Scrollen am Smartphone.“

Die Psychologie hinter dem digitalen Kokon

Auffällig ist, dass Bedrotting wie eine moderne Form der Faulheit erscheint. Psychologisch betrachtet ist es jedoch eine Art Eskapismus. Das Bett vermittelt Geborgenheit, während das Smartphone endlose Ablenkung bietet. Zusammen schaffen sie einen digitalen Kokon, aus dem es schwer ist, auszubrechen.

Dr. Christian Montag, Psychologe an der Universität Ulm, benennt dies als „Pseudo-Entspannung“:

„Die Körperruhe steht im Kontrast zur mentalen Aktivierung – das Gehirn ist ständig Reizen ausgesetzt. Die Belohnungen durch Social Media wirken stimulierend und gleichzeitig ermüdend.“

Ein fundamentales Element hierbei ist die Dopaminausschüttung bei Nutzung sozialer Medien. Während sie uns belohnt, erschöpft sie auch unsere kognitiven Ressourcen, was erklärt, warum wir uns nach ausgiebigem Scrollen oft entleert fühlen.

TikTok und Co.: Wie soziale Medien das Bedrotting befeuern

Auch wenn TikTok das Phänomen nicht erfunden hat, so hat die Plattform es doch perfektioniert. Ihre algorithmusgesteuerte Struktur versorgt uns konstant mit neuen Stimuli. Die Technologieforscherin Linda Stone beschreibt diesen Zustand als „kontinuierliche partielle Aufmerksamkeit“ – ein permanentes Reagieren auf neue Reize, ohne sich wirklich zu konzentrieren.

Der Algorithmus als digitaler Dealer

Der Reiz sozialer Medien ist in ihrem System der variablen Verstärkung begründet. Angelehnt an Experimente von B.F. Skinner, reagiert unser Belohnungssystem besonders empfindlich auf unvorhergesehene Signale: Das nächste Video könnte langweilig – oder ein Volltreffer sein. Diese Ungewissheit hält uns am Bildschirm und macht das Scrollen so schwer aufzuhören.

Generation Burnout: Warum Bedrotting auch Selbstschutz ist

Obwohl Bedrotting gesundheitlich fragwürdig ist, kann es unter Umständen als Entlastungsventil dienen. Dr. Mazda Adli, Stressforscher und Psychiater, beschreibt den Rückzug ins Bett als mögliche Reaktion auf Dauerstress:

„Nichtstun und Rückzug dienen als psychischer Selbstschutz vor Überreizung und ständiger Aktivierung. Erst problematisch wird es, wenn daraus sozialer Rückzug und Apathie resultieren.“

Ein bisschen digitaler Eskapismus kann sein Gutes haben. Erst wenn er zur Dauereinrichtung wird, wird Vorsicht geboten.

Das Paradox der aktiven Passivität

Spannend ist, dass Bedrotting nicht als passiv empfunden wird. Während unser Körper ruht, ist unser Geist durch Videos, Nachrichten und Likes aktiv – mitten im digitalen Geschehen. Neuere Studien sprechen von einem Zustand kognitiver Aktivität bei physischer Inaktivität – einem Balanceakt zwischen Rückzug und Reizüberflutung.

Die dunkle Seite: Wenn aus Entspannung Stagnation wird

Wohlfühlzonen können sich schnell in Wohlfühlfallen verwandeln. Prof. Dr. Julia Brailovskaia von der Ruhr-Universität Bochum warnt vor den Folgen:

„Exzessive Smartphone-Nutzung im Bett ist mit höherem Depressionsrisiko, Schlafproblemen und geringerer Lebensqualität verbunden.“

Viel Bildschirmzeit im Bett fördert sowohl körperliche Beschwerden als auch soziale Isolation.

Der Schlaf-Wach-Rhythmus gerät aus dem Takt

Ein bedeutender Risikofaktor ist das blaue Licht, das von Bildschirmen ausgestrahlt wird und die Melatoninproduktion hemmt. Dies führt zu unregelmäßigem Schlaf, wir wachen erschöpft auf und greifen wieder zum Handy. Dr. Hans-Günter Weeß, ein Schlafexperte, betont, dass dieser Zyklus oft unseren Schlafrhythmus stört.

Raus aus der Bett-Falle: Strategien für gesünderes Digital-Verhalten

Die gute Nachricht: Bedrotting muss kein Dauerzustand sein. Mit gezielten Strategien kannst du dein Verhalten nachhaltig ändern – ohne die Freuden der digitalen Welt völlig aufzugeben.

Die 20-20-20-Regel für Bedrotting

Eine aus der Augenheilkunde bekannte Übung: Schaue alle 20 Minuten für 20 Sekunden auf etwas, das ungefähr 6 Meter entfernt ist. Diese visuelle Pause hilft nicht nur deinen Augen, sondern gibt auch deinem Geist eine kurze Auszeit.

Bedrotting mit Zeitlimit

Plane bewusst deine Bildschirmzeit. Setze dir Timer für 30 oder 60 Minuten, um von unkontrolliertem Scrollen zur gezielten Pause überzugehen. Achtsamer Medienkonsum stärkt die Kontrolle.

Die handyfreie Bett-Zone

Etabliere handyfreie Zeiten: Besonders wichtig sind die ersten und letzten 30 Minuten des Tages. Sie helfen, den natürlichen Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren und die Schlafqualität zu verbessern.

Alternative Entspannung: Was funktioniert wirklich?

Wenn du merkst, dass Bedrotting dich mehr erschöpft als erholt, können andere Entspannungstechniken helfen. Hier einige durch Studien gestützte Tipps:

  • Aktive Erholung: Bereits zehn Minuten an der frischen Luft bewirken Wunder
  • Echte soziale Kontakte: Ein kurzes Gespräch mit einer vertrauten Person hebt nachweislich die Stimmung
  • Haptische Aktivitäten: Kochen, Basteln oder Zeichnen fördern die Konzentration und helfen beim Abschalten
  • Meditation oder Atemübungen: Fünf Minuten bewusster Atem beruhigen das Nervensystem

Die Zukunft des Bedrottings: Ein gesellschaftlicher Wandel?

Bedrotting spiegelt die aktuellen Entwicklungen unserer Gesellschaft wider: Immer mehr Menschen hinterfragen das Dogma permanenter Produktivität. Ähnliche Tendenzen zeigt die „Lying Flat“-Bewegung in China oder die „Great Resignation“ in den USA. Überall suchen Menschen neue Wege, um mit einer überfordernden Welt umzugehen und Prioritäten anders zu setzen.

Das Fazit: Bedrotting ist menschlich – aber Maß halten ist wichtig

Bedrotting ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist eine verständliche Reaktion auf eine komplexe, überfordernde Welt. Aber wie bei allem im Leben: Das richtige Maß ist entscheidend. Jemand, der bewusst entscheidet, wann und wie lange er sich ins Bett zurückzieht, kann sogar von dieser modernen Rückzugsform profitieren.

Also entspann dich. Auch wenn du diesen Artikel gerade im Bett liest: Du bist in guter Gesellschaft. Wichtig ist nur, dass du selbst entscheidest, wann der Moment gekommen ist, wieder aufzustehen.

Was machst du samstags am liebsten im Bett?
TikTok nonstop scrollen
Serien in Endlosschleife
Einfach nur daliegen
Stundenlang nachdenken
Schlafen bis es dunkel wird

Schreibe einen Kommentar