Warum du dich manchmal ständig entschuldigst – und wann das ein Problem ist
Du stößt versehentlich jemanden im Supermarkt an – selbstverständlich, du entschuldigst dich. Aber dann entschuldigst du dich auch für das Schreiben einer E-Mail, das Stellen einer Frage oder einfach nur dafür, dass du existierst. Kommt dir das bekannt vor?
Keine Sorge, du bist nicht allein. Viele Menschen zeigen dieses Verhalten, ohne es bewusst wahrzunehmen. Doch während echte Entschuldigungen ein wesentlicher Bestandteil gelungener Kommunikation sind, kann übermäßiges Entschuldigen deinem Selbstbild und deiner Wirkung auf andere schaden.
Was hinter ständigem Entschuldigen steckt
Psychologisch gesehen ist wiederholtes, unbegründetes Entschuldigen oft ein Zeichen von niedrigem Selbstwertgefühl oder dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung. Die Psychologin Dr. Susan David betont, dass hinter dieser Gewohnheit meist der tiefe Wunsch steckt, nicht negativ aufzufallen oder abgelehnt zu werden.
Jede unnötige Entschuldigung sendet unterschwellige Botschaften wie:
- „Ich will dich nicht stören“
- „Deine Zeit ist wichtiger als meine“
- „Ich bin wahrscheinlich im Unrecht“
- „Ich muss mich rechtfertigen, um dazuzugehören“
Diese Denkweise kann sich durch Wiederholung fest im Selbstbild verankern – ein Effekt, der durch die Selbstwahrnehmungstheorie erklärt wird.
Der kulturelle Einfluss: Warum wir Deutschen zu viel entschuldigen
Höfliches, konfliktvermeidendes Verhalten wird in Deutschland früh anerzogen und hoch geschätzt. Diese Werte fördern zwar das gesellschaftliche Miteinander, können aber auch dazu führen, dass Menschen sich selbst zurücknehmen – häufig begleitet von übermäßigen Entschuldigungen.
Wissenschaftlich nachgewiesen ist zudem, dass Frauen und Männer sich ähnlich oft entschuldigen. Allerdings nehmen sie Situationen unterschiedlich stark als „entschuldigungswürdig“ wahr. Frauen erkennen häufiger soziale Verstöße, während Männer seltener diese Schwelle überschreiten. Pauschale Annahmen wie „Frauen entschuldigen sich mehr“ sind daher irreführend.
Die verschiedenen Muster des ständigen Entschuldigens
Im Alltag lassen sich verschiedene Verhaltensmuster erkennen, die oft in Selbsterfahrungstrainings thematisiert werden:
Der Automatik-Entschuldiger
„Entschuldigung“ ist dein Standardwort. Du sagst es aus Gewohnheit – beim Vorbeigehen, beim Husten, bei jeder Interaktion. Meist nicht problematisch, kann es aber wirken, als würdest du deine Präsenz ständig in Frage stellen.
Der Konfliktvermeider
Typischer Satz: „Entschuldige, dass ich das anspreche, aber…“. Du willst Spannungen vermeiden und entschuldigst dich bereits im Voraus, um nicht anzuecken. So wirkst du jedoch oft unsicher oder indirekt.
Der Über-Verantwortungsträger
Du entschuldigst dich für Dinge, die nicht in deinem Verantwortungsbereich liegen – sei es das Wetter, die Bahn oder die schlechte Laune anderer. Was nach Empathie klingt, kann auf Dauer dein seelisches Gleichgewicht belasten.
Wann ständiges Entschuldigen zum Problem wird
Ehrliche Entschuldigungen bei echten Fehlern sind sinnvoll – aber wenn du dich ständig für normale Gefühle, Bedürfnisse oder äußere Umstände entschuldigst, kann das ein Zeichen für ein Ungleichgewicht sein.
Typische Warnsignale:
- Du entschuldigst dich mehrmals täglich in harmlosen Situationen
- Du sagst oft: „Sorry, dass ich das sage“, auch wenn du freundlich bleibst
- Du entschuldigst dich für deine Emotionen wie Traurigkeit oder Müdigkeit
- Du übernimmst Verantwortung für Dinge, die außerhalb deines Einflusses liegen
„People-Pleaser“, Menschen, die immer gefallen wollen, neigen besonders häufig zum übermäßigen Entschuldigen. Dabei steckt die Angst vor Ablehnung und die Hoffnung dahinter, durch Nettigkeit gemocht zu werden – ein Verhalten, das langfristig zu Erschöpfung und Unzufriedenheit führen kann.
Welche Folgen häufiges Entschuldigen haben kann
Der Einfluss aufs Selbstwertgefühl
Wenn du dich ständig ohne echten Grund entschuldigst, machst du dich innerlich klein. Dein Unterbewusstsein registriert: „Ich mache ständig Fehler“ – und das kann dein Selbstbild schwächen und Selbstzweifel verstärken.
Wie andere dich wahrnehmen
Ironischerweise führt übertriebene Höflichkeit oft nicht zu mehr Akzeptanz. Wer sich dauernd entschuldigt, wirkt auf seine Umgebung oft unsicher, unentschlossen oder wenig souverän. Insbesondere im beruflichen Kontext kann das die Wahrnehmung von Führungskompetenz negativ beeinflussen.
Was ist eine gesunde Entschuldigung – und was nicht?
Gesund:
- Du hast jemanden verletzt oder einen Fehler gemacht
- Du nimmst Verantwortung und stehst dazu
- Deine Entschuldigung ist klar, ehrlich und einmalig
Ungesund:
- Entschuldigung für Bedürfnisse wie Hunger, Traurigkeit oder Müdigkeit
- Mehrfaches Entschuldigen für denselben Vorfall
- Entschuldigungen für Dinge, die du nicht kontrollieren kannst
- Vorsorgliches Entschuldigen, um möglicher Kritik zu entfliehen
Wie du lernst, dich seltener (unnötig) zu entschuldigen
Die gute Nachricht: Dieses Verhalten lässt sich ändern. Es erfordert Aufmerksamkeit, Übung und etwas Geduld – aber es funktioniert. Hier sind drei bewährte Strategien:
1. Beobachte dich für einen Tag bewusst
Nimm dir 24 Stunden Zeit und achte darauf, wie oft und wofür du dich entschuldigst. War es wirklich nötig? Diese Reflexion ist der erste Schritt zur Veränderung.
2. Sag’s anders: die Alternativformel
Ersetze das Wort „Entschuldigung“ durch positive oder neutrale Formulierungen:
- Statt „Entschuldige die Störung“ → „Darf ich kurz stören?“
- Statt „Sorry, dass ich zu spät bin“ → „Danke für eure Geduld“
- Statt „Entschuldige, dass ich das sage“ → „Ich sehe das so…“
- Statt „Sorry für die Frage“ → „Ich habe eine Rückfrage dazu…“
3. Die mentale Pause einbauen
Bevor ein „sorry“ über deine Lippen kommt: kurz innehalten. Frag dich innerlich: Habe ich gerade wirklich etwas falsch gemacht, was eine Entschuldigung erfordert?
Wenn andere sich ständig entschuldigen: So reagierst du hilfreich
Beobachtest du dieses Verhalten bei Bekannten oder Kolleginnen und Kollegen? Dann kannst du auf konstruktive Weise helfen:
- Freundlich spiegeln: „Du brauchst dich nicht zu entschuldigen – du hast nichts falsch gemacht“
- Selbstsicherheit stärken: Lob für klare Aussagen und direkten Ausdruck geben
- Geduldig bleiben: Verhaltensmuster zu ändern braucht Zeit und Übung
- Vorbildfunktion übernehmen: Kommuniziere freundlich, aber selbstbewusst – ohne unnötige Entschuldigungen
Raus aus dem Entschuldigungs-Modus – hin zu mehr Selbstvertrauen
Weniger „sorry“ zu sagen bedeutet nicht, unhöflich oder rücksichtslos zu sein. Es bedeutet, gesunde Grenzen zu ziehen und sich selbst mit Respekt zu behandeln. Wer sich selbst ernst nimmt, der erlaubt auch anderen, dies zu tun.
Der Schlüssel liegt in authentischer, klarer und freundlicher Kommunikation – ohne ständige Rechtfertigung für die eigene Existenz. Denn du darfst Raum einnehmen, eine Meinung haben, Bedürfnisse äußern – ohne Sorry.
Also: Beim nächsten Impuls, dich zu entschuldigen – atme kurz durch und frag dich: Ist das wirklich nötig? Vielleicht reicht einfach ein Lächeln. Oder ein „Danke, dass du mir zuhörst“. Denn das ist manchmal viel wirkungsvoller als jedes Entschuldigung.
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